TRANSITIONS | Martti Aiha – Tobias Grewe – Rainer Junghanns

Mit Unterstützung des RAUM e.V. war vor kurzem die Ausstellung TRANSITIONS in Helsinki zu sehen. Zwei Mitglieder des Vereins, der Ausstellungsinitiator Rainer Junghanns sowie Tobias Grewe waren daran neben Martti Aiha beteiligt. Gérard Goodrow kuratierte das Projekt. Für alle, die nicht dort sein konnten, veröffentlichen wir hier einen wunderbaren Beitrag von Linda Inconi, die auch für die Ausstellungsfotografie verantwortlich war.

 

Eine Mittsommernacht
Das Ausstellungsprojekt TRANSITIONS in der Galleria Forum Box Helsinki

von Linda Inconi

„Des Menschen Auge hat nicht gehört, des Menschen Ohr hat nicht gesehen, des Menschen Hand kann nicht schmecken, seine Zunge nicht begreifen, noch sein Herz berichten, was mein Traum war“

William Shakespeare

Als ich am 18. Juni in Helsinki ankam, war es fur mich das erste Mal in Finnland und das erste Mal Mittsommer hautnah. Das eigentliche Juhannus-Fest, also das Hochfest Johannes des Täufers, konnte ich leider nicht mitmachen, da es traditionell am Samstag zwischen dem 20. und 26. Juni gefeiert wird und ich bereits zwei Tage später wieder abreisen musste. Trotzdem erahnte ich schnell den besonderen Charme dieser Jahreszeit und die Faszination für die skandinavischen ‚Weißen Nächte‘, in denen die Sonne nicht unter zu gehen scheint.
Shakespeare sprach der Mittsommernacht ja bereits phantastische und märchenhafte Qualitäten zu und verknüpfte mit ihr eine Welt, in der nichts so ist wie es scheint und doch alles möglich ist…

Der Grund meiner Reise war ein Ausstellungsprojekt in einem Kunstverein in Helsinki, das ich fotografisch dokumentieren durfte. Die Galleria Forum Box Helsinki, die sich selbst als ’nonprofit artist-run co-operative society‘ kategorisiert und 50 Künstler als Mitglieder zählt, zeigt eine Gruppenausstellung, die in Kooperation mit dem RAUM e. V. Düsseldorf organisiert und von Gérard A. Goodrow kuratiert wurde.

Der Düsseldorfer Konzeptkünstler Rainer Junghanns sollte dort ursprünglich eine Einzelausstellung zeigen, nahm die Mittsommerzeit jedoch zum Anlass für eine besondere Ausstellungsidee. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Zeitprozessen, deren Wahrnehmung und dem Thema der Kommunikation und Partizipation, die er mit Hilfe verschiedenster Medien visualisiert. Mittsommer, wo Tag und Nacht fast gleich lang sind und die Grenzen zwischen dem Heute und Morgen verschwimmen, nahm er zum Anlass die Ausstellung ‚TRANSITIONS‘ zu inszenieren und mit Hilfe von zwei weiteren Künstlern partizipatorisch zu erweitern. Dazu holte er sich den international bekannten finnischen Bildhauer Martti Aiha und den Kölner Fotografen Tobias Grewe ins Boot, mit dem Ziel, verschiedene Formen transitorischer Prozesse, also flüchtiger Übergänge von einem Zustand in einen anderen, in der zeitgenössischen Kunst offenzulegen und den Besucher zudem einzuladen, Teil dieses Austausches zu werden. Jeder Künstler erhielt dazu einen der drei Ausstellungsräume der Forum Box, in denen es parallel eine Intervention eines der beiden anderen Künstler gab.

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Die Galleria Forum Box ergänzte die Ausstellungsidee als Ausstellungsort. Sie befindet sich direkt am Hafen, am Ende der Lönnrotinkatu, die sich aus den bekannten Esplanaden, der Shoppingmeilen, ergibt. Sie fuhrt vom Zentrum aus an einigen Sehenswürdigkeiten, wie dem schwedischen Theater oder der Alten Kirche – die, genau wie die Domkirche Helsinkis, nach Plänen des deutschen Carl Ludwig Engels erbaut wurde – vorbei und endet auf einer Art Aussichtsplattform mit Blick auf den Westhafen und dem neu entstandenem Ruoholahti-Buisness-Distrikt. Tatsächlich steht man in diesem Moment genau auf der Forum Box. Ursprünglich gelangte man an dieser Stelle auf eine Brücke, die in den 90er Jahren abgerissen und deren Pfeiler ausgehöhlt und später vom finnischen Bildhauer Kain Tapper zum Ausstellungsort und somit zur metaphorischen ‚Brücke‘ zwischen Künstler und Öffentlichkeit umgestaltet wurde.
Von dem Dach der Forum Box ergibt sich dazu ein gelungener Einstieg in die Ausstellung. In ihrer diagonalen Verlängerung blickt man nämlich auf die Mechelininkatu-Brücke, die 2011 aus Stahl und Acrylglas erbaut wurde. Entworfen wurde sie unter anderem von Martti Aiha. Vielleicht auch der Grund, warum man, unmittelbar beim Betreten der Forum Box, als erstes von einem Werk von Martti begrüßt wird.

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Mein erster Shot. Ein Blick in die Forum Box mit ihren drei einzelnen Räumen. Im Vordergrund und im linken Raum Skulpturen und eine Zeichnung von Martti Aiha.

 

Für Martti Aiha ist diese Ausstellung ein Heimspiel. Er ist eine bekannte Größe in Finnland und verantwortlich für einige städtebaulichen Veränderungen in der Hauptstadt Helsinki. So zeigte er mir am Tag nach der Eröffnung seine Modelle für eine geplante Neuerschließung eines ganzen Stadtbezirks. Der sogenannte Banaa-Distrikt, der zwei Stadtteile Helsinkis miteinander verbindet und zum Teil für den Schienenverkehr genutzt wurde, soll zu einer Symbiose von modernem Städtebau und urbaner Kunst und Kultur verschmelzen. Die Modelle, die in einer städtischen Galerie gegenüber dem Museum für zeitgenössische Kunst KIASMA ausgestellt sind, zeigen das Gesamtvorhaben mit dem Titel ‚urBaana‘. Ähnlich der New Yorker High Line soll ein ganzer Straßenzug neu bebaut und bepflanzt werden und über Plätze zum Verweilen sowie über Museums- und Restaurantviertel mit Grün- und Wohnflächen verfügen. Zusammen mit einem Team von 17 Künstlern, Architekten und Städteplanern wurde das Konzept erarbeitet und seine Umsetzung wird zurzeit geprüft.

In der Forum Box Helsinki zeigt Aiha aktuelle Skulpturen aus lackiertem Kunststoff, die auf dem ersten Blick wie überdimensionale Schachfiguren wirken. Doch bald schon versteht man, warum Rainer Junghanns, Martti Aiha in seine Ausstellung mit aufgenommen hat. Aihas Skulpturen erfahren kontinuierlich Übergänge in verschiedene Zustände. Sie sind gleichzeitig statisch und dynamisch. Die geschwungenen, wellenförmigen Gebilde aus glatt poliertem Kunststoff scheinen zu fließen und sich stetig zu verändern. Durch die Lackierung mit Acryllack besitzen sie eine spiegelnde, glitzernde Oberfläche und reflektieren das Licht und ihre Umgebung. Je nach Betrachterstandpunkt ergeben sich organische, ja menschliche Züge. Der Kreis ist dabei die formgebende geometrische Figur und symbolisiert den Kreislauf der Natur, die Veränderungen von organischen Formen und die Frage nach dem Ursprung und dem Ende des Lebens. Ganz im Sinne Heraklits Panta rhei- Alles fließt verbindet Aiha Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.

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Skulpturen in Martti Aihas Raum

 

Dass die Skulpturen aus bestimmten Blickwinkeln an Porträtbüsten denken lassen, ist natürlich nicht zufällig. Schon in seinen frühen Arbeiten der 1970er und 80er Jahren fertigte Aiha skulpturale Selbstportraits in Gips. Der Mensch steht im Zentrum seiner Überlegungen. Der Kopf als Sitz des Verstandes und des Bewusstseins soll hier auf mentale Prozesse und auf die Formbarkeit des menschlichen Charakters hinweisen.

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Martti Aihas Intervention im Raum von Tobias Grewe

 

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Die einzige aus Stein gearbeitete Skulptur von Martti befindet sich als Intervention im Raum von Tobias Grewe. Sie nimmt wunderbar die Farb- und Formensprache der Fotografie ‚Twisted‘ auf, der Aufnahme einer Architekturfassade, dessen architektonischen Attribute sich nur noch durch einzelne, geschwungene Linien erahnen lassen. Tobias Grewe fängt mit Hilfe von Ausschnitt, Belichtungszeit und Blende eine abstrahierte Sicht auf urbane Architekturen und Objekte ein und legt durch die Auseinandersetzung mit Form, Farbe und Licht ihre malerischen Qualitäten dar. Durch gezieltes Einsetzen von Unter- und Überbelichtung löst er die motivischen Details fast vollständig auf, so dass nur noch feinste Merkmale zurückbleiben, die wie Zeichnungen erscheinen und die eigentliche Motivquelle unerkannt lassen. Das Objekt wird von seinem Inhalt und seiner Funktion im urbanen Kontext isoliert und die Wahrnehmung im flüchtigem Augenblick rückt ins Zentrum des Interesses. Um diesen nicht zu verfremden, verzichtet Grewe auf sämtliche Hilfsmittel wie Stativ, Filter oder digitale Nachbearbeitung. Mit Hilfe des Bildausschnitts und mit gezielter Schärfe und Unschärfe reduziert Grewe zudem dreidimensionale Objekte zu zweidimensionale Feldern, die an die Farbfeldmalerei der 1950 und 60er Jahre erinnern und löst damit die Grenzen zwischen Photographie und Malerei auf. Der Betrachter erfährt, ähnlich wie bei Aiha, eine Irritation in seiner Wahrnehmung und betreibt zusammen mit dem Künstler Grenzforschung der unterschiedlichen künstlerischen Medien.

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Grewes Intervention bei Aiha

 

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Grewes Intervention (rechts) in Rainer Junghanns Raum

 

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Aihas Intervention (rechts) im Raum von Rainer Junghanns

 

Der letzte Ausstellungsraum befindet sich im hinteren Teil der Forum Box, abgeschottet vom Tageslicht und somit ideal für Rainer Junghanns‚ mehrteilige Arbeit ‚Light Box Archive‘. Der Gastgeber der Ausstellung betreibt wahrhaftig Grenzüberschreitungen und zwar zeitlich und global, die er mit Hilfe eines Archivs von Momentaufnahmen des Meeres visualisiert. Aufgenommen wurden sie 2007, 2009 und 2010 auf Reisen mit Containerschiffen. In insgesamt 11 Monaten umrundete Junghanns dabei die gesamte Erde. Das konzeptuelle und prozessuale Erstreben lag in der Überquerung der mittleren Sonnenzeit am Nullmeridian, der sogenannte Greenwich Mean Time (GMT), des Äquators und der Ozeane. Mit Hilfe verschiedener Video- und Fotokameras hat sich eine Sammlung von impressionistischen Meeresstudien und Filmstills ergeben, die durch Einblendungen von Datum, Uhrzeit und Längen- und Breitengrade die Weltumrundung für den Betrachter greifbar machen. Ähnlich der Herangehensweise von Tobias Grewe wird zum Teil nur ein Ausschnitt der Wasserbewegung freigeben und somit ein abstrakter Charakter erzeugt, der fast schon malerische Qualitäten aufweist und einen rein dokumentarischen Zweck ausschließt. All diese Eindrücke werden in einem weiteren Schritt in die Leuchtkästen eingefügt und ‚archiviert‘. In jede Archivbox kommen 13 einzelne Arbeiten, die wie Fächer ausgeklappt werden können und von innen beleuchtet werden. Ganz im Sinne seines partizipatorischen Gedankens, lädt er dazu den Betrachter ein, diese Archivboxen zu öffnen und die einzelnen Fragmente für sich selbst zu einer Gesamtheit und zu einer eigenen Erfahrung zu konstruieren. Eine partizipatorische Plastik, die dazu auffordert, interaktiv Teil der visuellen und emotionalen Erfahrungen zu werden und sie wiederum mit anderen zu teilen. Doch nicht nur der Besucher ist Teil der Präsentation. Aiha interveniert mit einer Zeichnung, die die Wasserbewegungen aus Junhanns‘ Filmen und Fotografien aufgreift und Grewe hat mit seiner Arbeit ‚Refractions IV‘ sogar Platz in einer der Leuchtkästen gefunden.
In der Forum Box Helsinki ist die erste vollständig ausgearbeitete Archivbox zu sehen. Weitere sechs Archive sind als Grundgerüste ausgestellt und geben einen guten Eindruck vom vollendeten Archiv.

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Rainer Junghanns ‚Light Box Archives‘

 

Der Kreis der partizipatorischen Ausstellung schließt mit der Intervention von Rainer Junganns in den Räumen von Tobias Grewe und Martti Aiha (s. Abb. 3): Zwei rot lackierte Tischplatten. Während sie bei Aiha als Podestplatte Teil der Präsentation ist, hängt sie im Raum von Tobias Grewe zwischen zwei der ‚Colourfields‘- Bildern als Ergänzung und Komplettierung eines Triptychons. Junghanns Tischplatten verweisen auf seine sogenannten Tischgemeinschaften den ‚New Table Groups‘, die bereits im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München dazu einluden, an einen Tisch zu kommen, sich zu begegnen und auszutauschen.

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Die ‚Tischgemeinschaft‘ in der Forum Box Helsinki .

 

Die drei Künstler Rainer Junghanns, Martti Aiha und Tobias Grewe sind zusammen an einen Tisch gekommen und haben einen sehr schönen und anregenden Diskurs unternommen, in dem es, passend zur Mittsommersonnenwende, um die Erfahrung von transitorischen Zuständen ging. Jeder der Künstler verdeutlicht den Titel der Ausstellung TRANSITIONS in Form von Abstraktion, zeitlichen, räumlichen und künstlerischen Grenzüberschreitungen und verbindet sie zu einem partizipatorischen Zusammenspiel. Ganz im Sinne ihres Ausstellungsortes, der Forum Box, wurde durch Interaktion und Dialog eine metaphorische Brücke zwischen den Künstlern untereinander und zur Öffentlichkeit geschlagen.

Die Ausstellung eröffnete am 19. Juni 2013 und ca. 250 Gäste nahmen Teil. Als die Feierlichkeiten gegen 0:30 Uhr zu Ende gingen stand die Sonne tief über Helsinki, ging gleichzeitig unter und wieder auf. Der Übergang vom Heute zum Morgen war so flüchtig. Es schien als ob die Zeit für einen Augenblick still steht. Ich musste an Shakespeares‘ Zettel denken, der versucht die flüchtige Erinnerungen an seinen Traum in Worte zu fassen. Noch zwei Tage bis zum Junhanns-Fest.
Mittsommer.

Ausstellung
TRANSITIONS
20.06.-14.07.2013
Forum Box, Ruoholahdenranta 3 a, Helsinki

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